Fritz Martini. Ein literaturwissenschaftlicher Autor während und nach der NS-Zeit

Bearbeiter: Jens Krumeich

Fritz Martini (1909–1991) gilt als schillernde Figur in der deutschen Literaturwissenschaft der Nachkriegszeit: Er ist der „berühmte Autor“ (Erich Rothacker) der populären und in viele Sprachen übersetzten Deutschen Literaturgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart (1949). Er edierte unter anderem die Werke Wielands und begründete das Jahrbuch der Deutschen Schiller-Gesellschaft, dessen Herausgeber er lange Jahre blieb. Außerdem agierte er als wichtiger wissenschaftspolitischer Funktionär in zahlreichen renommierten Institutionen wie etwa der Schiller-Gesellschaft, der Goethe-Gesellschaft oder der Germanistischen Kommission innerhalb der DFG. Der 1934 beim Staatsgermanisten Julius Petersen promovierte und 1939 in Hamburg bei Robert Petsch habilitierte Germanist war seit 1933 NSDAP-Mitglied. Zehn Jahre später erfolgte der Ruf an die TH Stuttgart (Nachfolge Hermann Pongs), wo er auch über die Grenze von 1945 hinaus bis zu seiner Emeritierung 1974 zunächst als außerordentlicher, später als ordentlicher Professor wirkte.

Obgleich Martini in der Forschung oft als Beispiel für eine nach dem Dritten Reich bruchlos fortgesetzte Karriere gehandelt wird, was zweifelsohne nur mithilfe wissenschaftlicher und wissenschaftspolitischer Anpassungsfähigkeit gelingen konnte, ist meist ein apologetischer Ton vorherrschend. Es wird stets herausgestrichen, dass Martini der exilierten jüdischen Wissenschaftlerin Käte Hamburger die Rückkehr in den wissenschaftlichen Betrieb Deutschlands und 1957 die Habilitation ermöglichte. Weniger Beachtung finden hingegen nicht nur seine Verstrickungen in den Nationalsozialismus oder auch sein Engagement für die Berufung des politisch stark belasteten Hans Schwertes alias Hans Ernst Schneider. Auch und vor allem seine bisweilen stark völkischen, mitunter auch antisemitischen Arbeiten wie etwa sein Beitrag für die Buchreihe „Von Deutscher Art in Sprache und Dichtung“ (1941), deren Entstehen auf den „Kriegseinsatz der Deutschen Geisteswissenschaften“ zurückgeht, werden kaum berücksichtigt.

Das Projekt wendet sich diesem Desiderat zu und rückt mehr als die Biographie seine wissenschaftlichen Arbeiten zur Zeit des Nationalsozialismus in den Fokus des Interesses. Texte wie „Werden und Wesen der ‚Deutschen Bewegung‘“ (1937), „Verfall und Neuordnung in der deutschen Dichtung seit dem 19. Jahrhundert“ (1941) oder „Der Mensch in Hebbels Tragödie“ (1942) werden einer detailgenauen philologisch-hermeneutischen und historisch kontextualisierenden Lektüre unterzogen. Auf der Analyse seiner spezifischen Schreibstrategien und Argumentationsmuster aufbauend, soll die weltanschauliche Position Martinis im Zusammenhang seiner Rolle im Nationalsozialismus untersucht werden. Die Bruchlosigkeit von Martinis Karriere bis zu seiner Emeritierung und darüber hinaus erlaubt es zudem, nach Kontinuität und Wandel von Forschungsinteressen, Argumentationsverfahren und Deutungsweisen zu fanden. Methodische Orientierung soll dabei Pierre Bourdieus Heidegger-Studie „Die politische Ontologie Martin Heideggers“ (1976) geben, in der der französische Soziologe das Werk Heideggers auf NS-ideologische Imprägnierungen prüft. Das Projekt siedelt sich insgesamt im Rahmen einer Fachgeschichte an, die aus genuin philologischer Perspektive nach den Überzeugungen und Anpassungsleistungen im Spannungsfeld variabler Verhaltens- und Karriereoptionen fragt: Wie passen sich Wissenschaftler an die Zeitumstände an? Welche Positionen nehmen sie ein? Wie unterscheiden sich Texte zu ähnlichen Themen vor und nach 1945?