„Wir sagen ab der internationalen Gelehrtenrepublik“? Internationale akademische Beziehungen Deutschlands von 1933 bis 1945
Unser Projekt wird seit August 2016 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert (gepris). Es beruht auf einer Kooperation zwischen der Universität Stuttgart, ab Herbst 2017 Heidelberg (Andrea Albrecht) und der Humboldt-Universität zu Berlin (Lutz Danneberg, Ralf Klausnitzer) und umfasst neben einigen zentralen Projektteilen eine Reihe von Einzelprojekten.
Projektzusammenfassung: Die kritische Einstellung zur ‚Internationalität‘ gehört zu einem der Kernaspekte der in Deutschland zwischen 1933 und 1945 propagierten Wissenschaftsauffassung: An die Stelle selbstverständlicher internationaler Austausch- und Kooperationsbeziehungen traten ab 1933 politisch gesteuerte, stark restringierte und kontrollierte Außenkontakte und ein auf Autarkie und Hegemonie setzendes wissenschaftliches Selbstverständnis. Wirft man jedoch einen Blick in die Nachrichtenblätter der deutschen Wissenschaft, wird schnell deutlich, dass es auch während der Zeit des Nationalsozialismus überraschend umfangreiche und vielfältige internationale Kontakte gab. Der angestrebte Übergang zu einer ‚radikal mit der Tradition brechenden Wissenschaftsauffassung‘ scheint diese nur begrenzt beeinträchtigt zu haben. Die Diskrepanz zwischen der Absage an die Internationalität der Wissenschaft einerseits und die praktizierte und mitunter sogar offen proklamierte internationale Ausrichtung wissenschaftlicher Arbeit andererseits ist in der Forschung, insbesondere in der Geschichte der Philosophie und der Philologien, bislang kaum untersucht worden; es fehlen weitgehend sowohl eine theoretische Auseinandersetzung als auch belastbare empirische Erhebungen. Das materiale Fundament der Untersuchung bildet eine auf Vollständigkeit angelegte personalbibliographische Sammlung zeitgenössischer Zeitschriftenbeiträge zu bislang 120 Philosophen und Philologen aus der NS-Zeit inklusive Rezensionsmaterial und Forschungsliteratur sowie eine thematisch ausgerichtete Sammlung zeitgenössischer Dokumente zur Wissenschaftsauffassung, zum internationalen Wissenschaftsaustausch und zu einzelnen Disziplinenentwicklungen während des Nationalsozialismus. Diese Dokumente werden im Rahmen des Projekts in eine Datenbank überführt und zum einen quantitativ, zum anderen qualitativ durch eine koordinierte Reihe von exemplarisch angelegten Fallstudien zum Verhältnis von Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Austauschs zwischen 1933 und 1945 ausgewertet. Projektiert sind unter anderem Studien zur ‚Deutschen Linie des Denkens und Fühlens‘, zum Ästhetik-Kongress 1937 in Paris und zum Umgang mit eigenen und fremden philosophischen und literarischen Klassikern. Als Vergleichsstudie wird sich ein Teilprojekt mit der Wissenschaftspraxis, -auffassung und internationalen Rezeption des Logischen Empirismus und anderer philosophischer Strömungen befassen.