Die ‚radikal mit der Tradition brechende Wissenschaftsauffassung’. Zur Rekonstruktion der (theoretischen) Wissenschaftsauffassung des Nationalsozialismus

Es ist überraschend, wie wenig Aufmerksamkeit die zwischen 1933 und 1945 proklamierte kritische Einstellung zur ,Internationalität‘ sowie die Versuche und die Fortune ihrer Durchsetzung bislang in der Forschung gefunden haben. Um diesem Desiderat abzuhelfen, analysieren wir Stellungnahmen zur Anerkennung deutscher Wissenschaft im Ausland und ausländischer Wissenschaft im Inland, Begründungen für konkrete Abwehrmaßnahmen, Rekurse auf das Argument des ‚Arteigenen‘ und die daran geknüpften Möglichkeiten oder Erforderlichkeiten des Imports, Exports und Re-Imports von Wissen. Nach den Vorarbeiten zeichnet sich ab, dass der zwischen den (Wissens-)Kulturen stattfindende Austausch in der Zeit zwar wahrgenommen wird, die (jeweils) ,arteigenen‘ Kulturen aber gleichwohl monologisch konzipiert werden, zum einen um die Gefahr eines epistemischen Relativismus abzuwenden, zum anderen um Darstellungen der deutschen Situation von ,außen‘, also vor allem Darstellungen von Emigranten zu entwerten, die im Ausland das Bild deutscher Wissenschaft wesentlich prägten. Im Hinblick auf den wissenschaftlichen Austausch ist zudem zu rekonstruieren, wie die scharfe Kritik am normativen Anspruch des internationalen Charakters von Wissenschaft durch quasi-empirische Konzepte (Volk, Rasse, Stamm, Nation etc.) fundiert wird – also mit Konzepten, die sich auf die Wissenschaftsakteure beziehen, die der Partikularisierung von Genese, Geltung und Erhalt von Wissensansprüchen dienen und die die ‚Deutsche Linie des Denkens und Fühlens‘ begründen.